Liberty Interviews

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Acht Fragen für Der Freydenker.

1. Was heißt Freiheit für Sie?

Grundsätzlich beschreibt Freiheit die Menge aller Möglichkeiten, die ein Mensch hat, egal ob er sie nutzt oder nicht.

Wie frei eine Gesellschaft ist zeigt sich daran, mit welchen Sanktionen – juristischer oder gesellschaftlicher Art – ein Mensch zu rechnen hat, wenn er sich jenseits üblicher Normen und Konventionen bewegt. Denn Verhalten in Freiheit ist unbequem, Freiheit ist gelegentlich anstrengend für andere, das maßgeblicher Bestandteil der Definition. Dabei meine ich nicht die Anstrengung, die eigene Freiheit als mündiger Mensch im Zusammenspiel mit individueller Verantwortung für die Gesellschaft in Übereinstimmung zu bringen. Sondern den Teil, die Freiheit anderer zu genießen, zu dulden oder zu ertragen. Denn der Wert der Freiheit materialisiert sich nicht dann, wenn Menschen sich entlang eines gesellschaftlichen Mainstream verhalten. Sondern deutlich wird sie erst beim Abweichen von der Norm, wo Verhalten und Meinung umkonform sind.

2. Welches Buch (oder Bücher) haben Sie bisher am meisten verschenkt? Oder, welche ein bis drei Bücher hatten den größten Einfluss auf Ihr Leben?

Am häufigsten verschenkt: The Once and Future Liberal von Mark Lilla (und Open Organization von Jim Whitehurst)

3. Was erwarten Sie in puncto Freiheit vom 21. Jahrhundert?

Die Möglichkeiten und theoretischen Voraussetzungen frei zu sein nehmen zu, und das 21. Jahrhundert kann ein weiteres Jahrhundert sein, entlang dieser Entwicklung zu mehr Freiheit. Doch das müssen wir uns genauso erarbeiten, wie das im vorherigen Jahrhundert erarbeitet wurde. Eine Zunahme von Freiheit geht meistens mit einer Zunahme an Komplexität einher.

Ich erwarte daher weiter ein Testen und Neuaushandeln der bisherigen vermeintlich gefundenen Freiheit (in Mitteleuropa), wie wir das derzeit erleben. Also was passiert, wenn die Freiheit, die den Menschen zugestanden wird, auch genutzt wird. Ein Ausloten dieses natürlichen Konfliktrahmens, in dem Freiheit gesellschaftlich anstrengend und anspruchsvoll ist.

Gleichzeitig werden wir bedingt durch größeren Handlungsspielraum der Menschen mehr Informationen zu bewerten haben, mehr offene Fragestellungen haben. Aber leider ohne dass wir bisher solide Mechanismen zur Komplexitätsreduktion gefunden haben, die in diese Zeit passen. Wie bewerten wir Verhalten und Ereignisse, die zuvor einfach unmöglich waren, wie gehen wir mit einer umfangreicheren Menge an Kultur um – wird es mehr „Winner-takes-all“ bzw Gatekeeper-Modelle geben, oder schaffen wir breiten Zugang zu erhalten – für Schöpfer/Produzenten genauso wie für Konsumenten.

Derzeit fallen wir auf die bisherigen und üblichen Methoden zur Vereinfachung zurück, weil wir so viel Freiheit noch nicht aushalten können. Wir bilden Gruppen, in denen durch Konsens Komplexität reduziert wird, wir glauben Autoritäten, zu häufig aufgrund der sozialen Validierung, nicht aus mündiger kritischer Bewertung. Oder diese Errungenschaften werden wieder eingeschränkt, wie im Versuch die Zeit zurück zu drehen.

Nach einem solchen Rückschritt oder freundlich gesagt einer Konsolidierung, ist unsere Aufgabe dann Wege zu finden, wie wir Vielfalt und Freiräume erhalten und wertschätzen können, sie zu einer neuen gelebten Praxis, einem neuen Modus im gesellschaftlichen Umgang machen können.

4. Wo sind für Sie die Grenzen der Freiheit? Wann muss Freiheit eingeschränkt werden?

Gesellschaften sind dann am meisten frei, wenn die Möglichkeit sich Auszuleben und zu Verwirklichen möglichst Vielen und für möglichst lange Zeit zur Verfügung steht. Das Recht auf Freiheit steht jedem zu, setzt allerdings eine gewisse Mündigkeit voraus. Also den verantwortungsvollen Umgang mit Freiheit. Daher muss Freiheit dort eine Grenze erfahren, wenn die Mündigkeit des Einzelnen nicht ausreicht und eine Gesellschaft als Ganzes droht weniger frei zu werden.

Neben meiner Sicht muss man natürlich auch andere Sichtweisen zugestehen, und diese können oder würden kollidieren, eine Koexistenz ist schwerlich vorstellbar. Daher kann man natürlich mal darüber nachdenken, in wieweit man recht explizit Gesellschaftsgruppen zulässt oder gestaltet, in denen die Freiheitsgrade unterschiedlich sind, und in denen sie ihr Leben entsprechend dieser gestalten. Solange man den Menschen eine Transition zwischen diesen Gesellschaften erlaubt/ermöglicht, wäre das ein dominant besseres Ergebnis, als ein Modell zwingend für alle vorzuschreiben.

5. Wie beurteilen Sie die Entwicklung der Freiheit in den letzten 100 Jahren?

Insbesondere die Digitalisierung der letzten Dekaden hat eine Menge Möglichkeiten hervorgebracht, für mehr Freiheit zu sorgen, auf gesellschaftlicher wie individueller Ebene. Der Arabische Frühling (und weiteres Aufbegehren gegen Repression) wäre ohne die Möglichkeit sich über Soziale Medien zu informieren und zu vernetzen nicht passiert. Die Möglichkeit einer Alternative zu Zentralbankgeld ist eine zumindest gedankliche Option aus der Gefahr einer Kontrolle der Zahlungsströme. Journalismus und Medien erreichen mehr Aufmerksamkeit und tragen zu Information bei, der Grundlage für freie Entscheidungen. Es kam zu einer Demokratisierung von Prozessen und Hilfsmitteln, wo zuvor Eintrittsbarrieren bestanden. Sei es in der Klangkunst, der persönlichen Weiterbildung oder der Produktion. Auch wenn jede dieser Entwicklungen Vor- und Nachteile mit sich bringt, weitere häufig auch demokratietheoretische Fragen, hat die Entwicklung der letzten Jahre klar zu mehr Freiheit geführt.

Mit dieser Zunahme an Freiheit steigt natürlich auch das Ausmaß an Freiheit, das wir verlieren können, das ist selbstredend. Was aber ebenfalls damit zugenommen hat sind die Mittel und Methoden, mit denen Freiheit reduziert werden kann. Es ist heute sehr einfach, Menschen in ihrem Verhalten und ihren Äußerungen zu überwachen, Informationen für immer zu speichern. Sei es welche Veranstaltungen man besucht hat, welche Arzttermine man hatte, welche Medikamente man verschrieben bekam bis hin zu biometrischen Daten, die erfasst werden. Damit ist es auch leichter geworden, z.B. Menschen aus einer anonymen Masse herauszulösen und als Individuum zu manipulieren oder sanktionieren. Auch neue Methoden der Repression werden möglich, angefangen beim Abschalten eines Autos aus der Ferne, wenn man sich zu normabweichend verhalten hat, bis hin beispielsweise zum Entzug des Zugangs zum Internet, dem Medium was heute notwendig ist, um Teil einer Gesellschaft sein zu können.

6. Wenn Sie eine riesige Botschaft am Brandenburger Tor platzieren könnten, was würde darauf stehen und warum?

Den Wert der Freiheit merkt man erst, wenn sie verschwunden ist.

7. Welchen Rat würden Sie einem klugen, motivierten Studenten geben, der gerade sein Studium abgeschlossen hat und in die Jobwelt eintritt? Welchen Rat würde Sie ihm raten zu ignorieren?

Glück ist, wenn Vorbereitung auf Gelegenheit trifft. Das Leben ist eine Aneinanderreihung von guten Gelegenheiten. Ergreife die Gelegenheiten, reite die Welle. Und sorge dafür, dass du immer wieder in der Lage bist, die richtigen Möglichkeiten finden zu können und in Angriff nehmen zu können.

8. Lieber eine freie, aber arme Gesellschaft oder eine prosperierende Diktatur?

Beide beschriebenen Gesellschaften sind nicht die beste aller Welten. Menschen sind aber in der Lage aufzubegehren, Gesellschaften sind in der Lage, sich zu ändern. Daher betrachte ich das Potential, was kann sich wie entwickeln.

Aus einer freien armen Gesellschaft kann leicht eine freie prosperierende Gesellschaft werden.

Aus einer prosperierenden Diktatur kann deutlich schwerer eine prosperierende freie Gesellschaft werden.

Daher bevorzuge ich die freie arme Gesellschaft.

von Sebastian Alscher